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Die Unsichtbaren von Roy Jacobsen

von Corinna Feierabend

Schauplatz dieses beeindruckenden Romans ist die fiktive norwegische Insel Barrøy am Polarkreis, die von nur einer Familie bewohnt wird. Es ist das frühe zwanzigste Jahrhundert. Fünf Personen führen ein einfaches, durch Jahreszeiten, Wetter, Meer und harte Arbeit geregeltes Dasein: Großvater Martin, dessen Sohn Hans mit seiner Frau Maria und der gemeinsamen kleinen Tochter Ingrid sowie Hans´ Schwester Barbro, die nicht „ganz richtig im Kopp“ ist. Sie leben vom Fischfang, von Kartoffeln, einigen Kühen, Schafen und Ziegen. Die Handelsstation auf der Nachbarinsel wird mit dem Boot segelnd oder rudernd erreicht. Im Januar geht Hans jedes Jahr für einige Monate mit seinem Bruder auf Fischfang vor die Lofoten, dann kommt der alte Martin mit den Frauen allein klar. Als er stirbt, müssen die Aufgaben neu verteilt werden.

Nachdem eine Gruppe von schwedischen Sträflingen auf Barrøy einen Bootanleger gebaut hat, ist Barbro schwanger und die Arbeiter fort. Barbro bekommt einen Sohn, Lars. Der neue Anleger ermöglicht, dass die Familie an die Milchroute angeschlossen wird, täglich hält nun ein Schiff, um die Milch der Kühe abzuholen und auch Menschen und Waren zu befördern.

Mit sechs Jahren besucht Ingrid eine „Wanderschule“ auf der Nachbarinsel und beginnt zu Hause Fragen zu stellen, etwa warum sie keine Geschwister hat, die unbeantwortet bleiben. Insofern scheint sie erleichtert, eines Tages auf einer Nachbarinsel eine Stellung zu bekommen, die sich als lebensverändernd erweist, da die Eltern der beiden Kinder, die sie betreut, spurlos verschwinden. Nach einiger Zeit des verzweifelten Wartens nimmt sie die beiden mit zurück nach Barrøy, wo sie irgendwann zu Familienmitgliedern werden. Hans, der Vater, stirbt mit nur fünfzig Jahren unerwartet, so dass der erst zwölfjährige Lars nun die Männeraufgaben erlernen und übernehmen muss.

Unprätentiös und eindringlich erzählt der Norweger Roy Jacobsen (Jahrgang 1954) in klarer Sprache und lakonischem Ton von Naturgewalten, Schicksalsschlägen und Alltag dieser Menschen: „Es wurde einfach nur getan, so wie sich Menschen plötzlich einen neuen Weg durch die Wildnis bahnen und er ihnen gefällt und sie ihn immer wieder gehen, bis schließlich ein Pfad daraus wird, der nur ein anderes Wort für Gewohnheit ist.“ Meisterhaft versteht es Jacobsen, scheinbar banale Ereignisse des Inselalltags zu beschreiben und dabei Spannung zu erzeugen, was noch gesteigert wird durch die Tatsache, dass die Figuren wortkarg sind und es daher nur kurze Dialogpassagen gibt, die oft in indirekter Rede stehen.

Ein großartiger Roman, der Lust macht auf Norwegen, das Meer und mehr von diesem Autor.

Roman
Einband: gebundenes Buch
EAN: 9783955100353
Kategorie: Roman

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